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Der Knabe war verblüfft. Erst jetzt entsann er sich wieder der Wunderkraft des Egon-Quellwassers. Erschüttert drehte er sich im Kreis und rief:

"Ich wußte vor Durst nicht, was ich tat! Wo bist du, Egon-Quelle? Kannst du mir vergeben?!"

Die Stimme antwortete:

"Erstens bin ich nicht die Egon-Quelle selbst, sondern nur etwas Wasser von ihr. Zweitens kann ich dir deswegen auch nichts vergeben, klar? Und drittens bin ich natürlich in deinem Bauch; du brauchst mich nicht zu suchen."

Völlig verzweifelt ließ sich Egon auf den Boden fallen. Noch war er keinen Tag gewandert, noch hatte er nicht einen Bruchteil des Durstes verspürt, den ein Mensch ertragen kann, und schon hatte er eines der beiden kostbarsten Dinge, die er je besessen hatte, ohne nachzudenken geopfert, um sein Wohlbefinden wiederherzustellen, nein, um ein vergleichsweise winziges Unbehagen zu bekämpfen. Er würde es, darauf angesprochen, wohl nicht zugegeben haben, aber er weinte - heulte wie ein kleines Mädchen.

Da hörte er eine helle, wohlklingende Stimme, die sagte:

"Hey, Burschi! Laß dich nicht so durchhängen!"

Egon sah sich um, und erkannte, daß der Goldfisch mit ihm redete. Erstaunt rief er:

"Auch du kannst reden?! Warum hast du denn noch nie was ge- sagt?"

"Du hast mich ja noch nie was gefragt", kam es, wie zu erwarten, zurück.

Herzlich froh war der Junge, daß er mit jemandem sprechen konnte, denn sosehr er auch lauschte, die Quellwasserstimmen waren für immer verstummt (sie waren wohl verdaut?). So schwatzten die bei-den viele Stunden lang, und als sie kein Thema mehr hatten, erzählten sie sich Geschichten, die sie sich selbst ausdachten. Viele davon waren wunderbare Phantastereien, wie sie heute nicht mehr zu hören sind (erzählt im Echo der Höhle ein besonderer Geistesschmaus), von denen der jeweilige Erzähler selbst nur die bereits erzählten Stellen kannte; der weitere Verlauf, das Ende, alles lag, auch für ihn, im Unklaren. Und meist waren die Geschichten so lang, daß weder der Erzähler, noch der Zuhörer sich des Anfangs erinnern konnte - doch, einer konnte es stets: der Berg um sie herum. Zwar schwieg er, aber er hörte jedes Wort, das in seinem Magen gesprochen wurde, bewahrte es und bewegte alles zusammen in seinem Herzen. Berge haben häufig ein gewaltiges Gedächtnis. Klar - sie leben ja auch viele millionen Jahre. Wenn sie da alles nach einem Tag vergessen, was wäre das denn? Von diesem Berg sagt man jedenfalls, daß er identisch sei mit dem durch seine großartigen Epen berühmten, geheimnisumwitterten Dichter Von Der Leitn.

 

Endlich hielt Quick-Quack die Zeit für gekommen, wieder aufzubrechen, und sagte das Egon. Der war einverstanden, und so zogen sie heiter weiter in den Bergesschlund hinein. Natürlich war die Fröhlichkeit des Buben etwas getrübt vom Verlust des Quellwassers, aber - so tröstete er sich - er hätte anders wohl nie erfahren, daß Quick-Quack sprechen kann.

© 1998 by Vogel & Fitzpatrick GbR Black Ink
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