"Herr Kern, Herr Kern! Ich brauche
noch Ihre Unterschrift!"
Hastig überblickend, was er letztlich so eilig zu unterzeichnen habe,
lugte er über den Rand seiner Lesebrille und stellte fest, daß
besagtes Schreiben eine Bewilligung zur Lieferung von zwanzig Kilogramm
Fleisch zusätzlich zu den hundertfünfzig, die täglich in
der Kantine verschwanden, regelte. Ohne Zweifel war das auf die Anwesenheit
der zahlreichen Regierungsbeamten zurückzuführen, die gierig
alles verschlangen und alle Angebote seitens seiner Firma schamlos ausnutzten.
Ihn widerte solch ein Verhalten an, zumal er nie auf die Idee käme,
in der Kantine zu speisen. Wenn er etwas essen wollte, dann verließ
er die Firma und dinierte im nahegelegenen Steakhaus, schließlich
war er dort genauso gut zu erreichen wie in der Kantine, dank seines Handys.
"Ist ja nicht zu fassen, Fräulein..."
"Kruse, ich bin noch nicht so lange hier...", ergänzte sie schüchtern.
Er hatte das mit Absicht gemacht. Natürlich war sie Fräulein
Kruse, er wäre kein Mann - oder zumindest nicht Kern -, wenn er sich
nicht an diese schlanken Beine erinnern könnte. Bei ihrem Vorstellungsgespräch
hatte sie eine leicht transparente Bluse getragen, durch die er ihren
Spitzenbüstenhalter erkennen konnte und sich natürlich auch
ausmalte, was sich darunter verbarg.
Er liebte es jedenfalls, den beschäftigten Chef zu spielen.
"Ach, natürlich, Fräulein Kruse, jetzt kann ich mich erinnern.
Wir sollten einmal zusammen einen Kaffee in der Kantine trinken, nicht
wahr?" Bruno händigte ihr die Papiere aus und wandte sich ab. Wenn
es nicht so gut mit Brigitte liefe, dann wüßte er genau, wen
er als nächstes wollte. Aber an Brigitte hatte er nichts auszusetzen,
ihre Figur war traumhaft - jedoch nicht so abgemagert wie die dieser Topmodels,
sondern mit sehr zarten Rundungen... Einmal war er mit einem Mannequin
ins Bett gegangen - es war nach irgendeinem Kongreß gewesen... doch
das war schon so lange her.
Gedankenversunken saß er im Ledersessel hinter seinem
Mahagonischreibtisch, den er aus einer Geschäftsauflösung erstanden
hatte, weil Tropenholz heutzutage so teuer war, wenn es überhaupt
angeboten wurde - als Brigitte unerwartet in das Zimmer stürzte.
Bruno, Bruno, sie wolle ihn sprechen, in einer sehr dringenden Angelegenheit.
Ob er einen Moment Zeit habe, was Bruno natürlich bejahte; eigentlich
war er den ganzen Vormittag nur mehr oder weniger herumgehockt - Flaute
im Chefbüro eben.
"Da gibt es Unstimmigkeiten in den Meßergebnissen, die letzte Woche
von unserem Firmenchemiker durchgeführt wurden. Seiner Untersuchung
zufolge muß Luft von dem Laborbereich nach außen gelangen.
Da ist ein Leck irgendwo, da muß man doch..."
"Brigitte, Brigitte! Ganz ruhig. Ich weiß, wovon du sprichst. Das
gleiche Ergebnis lag schon letzten Monat vor. Ich habe mit dem Chefchemiker
schon darüber gesprochen..."
"Was, Du weißt davon und tust nichts dagegen?!"
"Jetzt hör mir mal zu, was weißt du schon von Biochemie.
In diesem Bereich unserer Laboranlagen werden ausschließlich Versuche
ohne Mikroorganismen durchgeführt. Das ist eine ganz andere
Angelegenheit. Wir haben auch schon herausgefunden, wo das Leck ist: an
der Schleuse. Und weißt du, wieviel so ein Teil kostet?"
"Nein, ich habe keine Ahnung..."
"Na also. Das ist nämlich der Punkt. Bevor ich eine komplette Schleusenanlage
neu einbaue, muß ich mich doch fragen, ob ich sie überhaupt
benötige. Zugegeben, die gesetzlichen
Bestimmungen schreiben das zwar vor, aber machen keinen Sinn - wie
das ja so oft der Fall ist."
Brigitte nickte verständig, aber sie kam sich irgendwie gedemütigt
vor - einverstanden war sie nicht.
Nikolai Vogel & Kilian Fitzpatrick: PLOT Leseprobe