Black Ink home



 

"Mein Name ist Luam Rebal", sagte der. "Ich bin der Ge-schichtenerzähler des nahen Ortes. Jedes Jahr einmal kommen alle Bewohner hierher, setzen sich um meine Hütte ins Gras und lauschen meinen Erzählungen. Gerade vorgestern war es wieder soweit."

Netlahs Augen glänzten, als sie nach einem tiefen Atemzug fragte:

"Brauchst du nicht einen fleißigen Lehrling?"

"Aber sicher. Zwar ist es unüblich, in deinem Alter noch damit anzufangen, denn normalerweise werden nur Söhne und Töchter von Geschichtenerzählern ebensolche - und das von der Wiege ab. Aber - warum nicht? Allerdings beachte folgendes: Die Lehre dauert fünf Jahre, während denen du nur ein Zehntel meines Einkommens verdienst. Du mußt täglich Sprachübungen hier auf dem Hügel machen, mit Steinen im Mund, mußt jeden Tag fünfzig Liegestützen machen, um den Anstrengungen des Geschichtenerzählens gewachsen zu sein. Und natürlich mußt du alle meine Geschichten auswendiglernen. Wenn ich auf einen Erzählerkongreß gehe, begleitest du mich.

Und nun das wichtigste: Es ist sehr fraglich, ob du nach der Ausbildung eine Stelle findest. Zwar gibt es in den meisten Orten und Unternehmen einen Posten als Geschichtenerzähler, jedoch gibt es auch sehr viele Aktivisten unseres Berufes; der Arbeitsmarkt ist in dieser Beziehung nahezu überlastet. Was sagst du jetzt dazu?"

"Die Vorteile überwiegen, zumal ich großen Spaß an der Materie habe. Wollen sehen, wie sich der Arbeitsmarkt in fünf Jahren verhält. Nicht wahr?"

Die beiden anderen stimmten begeistert zu und beteuerten auf Netlahs Bedenken hin, daß sie sicher auch alleine einen Anwalt finden würden. Dann sagte Pieps-Quietsch:

"Wie wäre es, lieber Luam Rebal, wenn du uns eine deiner Geschichten zur Kostprobe erzählen würdest?"

"Au ja! Bitte!", rief Quick-Quack erfreut.

Ehe der Alte jedoch etwas erwidern konnte, rief Netlah:

"Ich dachte eigentlich, ihr würdet, um mich zu prüfen, mich auffordern, ein kleines Geschichtlein zum Besten zu geben. Okay?"

Der Alte lachte schallend:

"Du? Du?!? Ich habe dir doch noch gar keine Geschichten beigebracht! Wie willst du dann eine wissen, um sie erzählen zu können?"

Pieps-Quietsch, Quick-Quack und Netlah sahen sich verblüfft an und mußten sich beherrschen, um nicht unhöflich zu erscheinen und nun ihrerseits zu lachen. Auf den fragenden Blick ihres Gastgebers hin antwortete Quick-Quack:

"Hast du das im Ernst gesagt? Denkst du wirklich, um Geschichten erzählen zu können, muß man es studiert haben? Jeder kann das. Der eine besser, der andere schlechter. Meine sind sogar einmal nie-dergeschrieben worden, damals, in den Alpen; von einem gewissen Montesuma, einem Redakteur des Felsenblattes."

"Dieser Name sagt mir leider nichts. Aber der hat deine Geschichten sogar niedergeschrieben, sagst du? Das ist ja allerhand!"

"Natürlich", warf Quick-Quack bescheiden ein, denn er sah, daß der Alte schwer betroffen war; "Natürlich werden es in deinen Augen laienhaft erzählte Geschichten sein, und ich war es auch nicht alleine, der sie erzählte, sondern mein Freund Egon hat mitgemacht. Aber immerhin habe ich einen Großteil des Erzählten selbst erlebt, also ist es wohl nicht schwer, es zu erzählen."

"Wie ‘erlebt’?", fragte der Geschichtenerzähler erstaunt.

"Naja..." Quick-Quack wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Darum sprang Pieps-Quietsch helfend ein:

"Du hast uns doch vorher auch etwas erzählt, was du selbst erlebt hast: daß du den Leuten aus dem Dorf vorgestern Geschichten erzählt hast. Aber du hättest es ja auch erzählen können, wenn es nicht die Wahrheit gewesen wäre. Du kannst doch erzählen, was du willst."

 

 

 

© 1998 by Vogel & Fitzpatrick GbR Black Ink
nach oben