Der Kriegsminister Haldane sprach im englischen Unterhause auch über die
Luftschiffahrt und meinte, dass für die Zwecke der Marine beim gegenwärtigen
Stande der Wissenschaft wohl nur das starre System von wirklichem Werte sei. Wie
sich der Kriegsminister diese Verwertung dachte, erfuhr man nicht. Ich hatte das
Gefühl, dass er etwas verschweigen wollte. Den Drachenballon, der als Beobachtungsmittel
schon bekannt ist und das Herannahen von Unterseebooten signalisieren kann, liess
der Kriegsminister ganz unberücksichtigt. Was wollte er mit dem starren System?
Wenn dieses in Frage kommt, kann es nur zum Auswerfen von Dynamitbomben in Betracht
kommen, und das wagte er Anfang August 1909 noch nicht zu sagen. Das ist durchaus
verständlich und spricht für die Humanität der höheren Offiziere;
man will auch nicht mit Anarchisten und Nihilisten auf dieselbe Stufe gestellt
erscheinen.
Aber die Entwicklung des Luftmilitarismus geht ihren konsequenten Weg, ohne auf
Humanität und Standesgefühl Rücksicht zu nehmen. Diese Entwicklung
zwingt zum Dynamitkrieg. Und darum konnte ich schon am 6. September 1909 im Berliner
Tageblatt bei Erörterung der Luftschiffahrt in der Marine lesen:
"In Zukunft wird auch das Abwerfen von Sprengmunition auf feindliche Schiffe
in Frage kommen, sodass auch hier der Kampf in andere Bahnen, ähnlich wie
beim Landkrieg, gelenkt werden muss und zum mindesten den moralischen Eindruck
stark erhöhen wird."
Der Verfasser nennt seinen Namen nicht, aber er wagt es doch, den Kern der Frage
blosszulegen - das hat mich herzlich gefreut. Ueber den "moralischen" Eindruck
war ich allerdings erstaunt - das Wort gebraucht man erst, wenn etwas "peinlich"
ist. Sollten sich die Luftmilitärs moralisch gehoben fühlen, wenn sie
mit ein paar Dynamitbomben ein paar Tausend Feinde ins Jenseits beförderten?
Nun - ich werde mich nicht wundern, wenn man demnächst vom "heiligen"
Dynamit spricht...
Doch zur Sache! Wenns auch schwer fällt!
Der Luftmilitarismus ist ohne Dynamit nicht denkbar. Haben wir erst Luftflotten,
die auch längere Zeit über dem Meere bleiben können, so kann jede
Seeflotte von einer Luftflotte in ein paar Stunden in den Grund gesprengt werden.
Die Luftschiffe greifen eben einzeln - womöglich des Nachts - umgeben von
sehr vielen Gleitfliegern die Seeflotte von allen Seiten an und senden ihre von
drahtloser Telegraphie gelenkten unbemannten Gleitflieger mit Torpedos den Schiffen
in die Flanken. Dagegen kann sich die Seeflotte kaum wehren - die Ballonabwehrkanonen
werden immer nur wenig ausrichten.
Es wäre ja wohl denkbar, dass sich die Schiffe auch oben durch Drahtnetze
zu schützen versuchten - doch selbst dieser Drahtnetzschutz ist von Torpedos
in jedem Falle sehr leicht zu zerstören.
Die Seeschlacht ist somit, wenn Luftflotten mitwirken können, ein Unding.
Und der Wert einer Seeflotte ist deshalb den Luftschiffen gegenüber gleich
Null.
Die Seeflotten rechnen im Zukunftsdynamitkriege nicht mehr mit, sind demnach als
Kriegsinstrumente nicht mehr brauchbar und können baldigst aufgelöst
werden.
Es ist selbstverständlich, dass darüber ein Sturm der Entrüstung
losbrechen wird. Aber das wird nicht viel helfen. Die Engländer sind ganz
besonders zu bedauern. Aber - die Entwicklung des Luftmilitarismus zwingt eben
zur Auflösung der Seeflotten, man mag dagegen sagen, was man will. Behält
man sie, so werden nur sehr viele Menschenleben nutzlos geopfert, da es einfach
unmöglich ist, die Seeschiffe gegen die tadellos treffenden Lufttorpedos
zu schützen.
Das muss schon jetzt gesagt werden - und zwar mit energischer Betonung - und
es muss immer wieder wiederholt werden, damit die überflüssigen Ausgaben
für die europäischen Meeresflotten baldigst eingeschränkt - und
dann gänzlich eingestellt werden können.
[ IV ]
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