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UNKRAUT
Kilian Fitzpatrick

Viele Menschen, die im glücklichen Besitz eines Gartens sind, bezeichnen bestimmte Pflanzen als Unkraut. Hierbei spielt es keinerlei Rolle, um welche Gewächse es sich spezifisch handelt; nein, die genaue Definition lautet eben: das Gewächs, das am falschen Ort oder ungewollt wächst.
Als aussagekräftiger Rat wird meistens noch hinzugefügt: "...nach Möglichkeit auslöschen, besser: vernichten!"
Denn, wer will schon seinen gehegten Garten von einem ekelerregenden, obszönen Kraut überwuchert sehen?
Unkraut bedeutet auch Ohnmacht, ja Hilflosigkeit; der Gärtner als glotzäugiger Doofian, der tatenlos dem Untergang seiner Beete mit nichts im Wege steht, der damit auch ein Stück abendländischer Kultur den Bach hinunter schickt...
Herr Schmidts war schon immer ein begeisterter Hobbygärtner gewesen, einer mit zwei grünen Daumen an jeder Hand. Reell beurteilt brachte er es nur auf einen pro Fingersammlung, aber in übertragenem Sinne hatte er schon ein paar mehr an jeder Hand, das glaubte Schmidts zumindest. Einige von ihnen konnte man mit großer Sicherheit den zahlreichen Düngesäcken zurechnen.
Kommen wir nun zum Kern der Sache: Er hegte und pflegte seinen Garten mit grauenhafter Sorgfalt, vollkommener Pedanterie und inniger Liebe zu sich selbst. Das Produkt seiner Obhut sollte so werden wie er: korrekt und immer pünktlich.
Und gerade diese Ansprüche, verbunden mit jener verhängnisvollen Definition (siehe oben), sollten sein Schicksal besiegeln.
Wie bei jedem normalen Menschen konnte Schmidts sich nicht den Alterungsprozessen entziehen. Vielleicht kam erschwerend hinzu, daß er ausgerechnet heute nicht ganz so ausgeschlafen hatte wie sonst.
In seinen Hobbygärtnerschuhen durchwatete er den Rasen, der seiner Meinung nach wieder eines dringenden Schnittes bedurfte. Besonders hier achtete er darauf, daß sich kein schreckliches, monströses, grasfressendes Insekt oder eine sonstige Lebensform niederließe, was rein vom Düngeaufwand glücklicherweise nicht möglich gewesen wäre.
Als er aber dann seinen Garten betrat, stellte er Entsetzliches fest: Im ersten Beet, das nach seiner Gartenplanung Zwiebeln führen sollte, wucherten frivol buschige Hülsengewächse, die in grotesker Unanständigkeit ihre buschigen Samenkapseln gen Himmel reckten; prall genug, um bei Schmidts ein Gefühl der Übelkeit hervorzurufen.
Exhibitionismus, dachte er sich. Ein Komplott. Ohne Zweifel, es waren unerwünschte Erbsen, die feige ihre Mitbewohner verdrängt hatten. Ein Dolchstoß in meinem Rücken.
Erst jetzt ließ er seinen Blick schweifen, wobei er mit wachsendem Entsetzten bemerkte, daß die gesamte Planung aus den Fugen geraten war: Fette, geschwulstartige Zwiebeln prangten auf dem Karottenbeet, verströmten brünftig ihren penetranten Geruch; lappriger Kopfsalat - wahrscheinlich krebszerfressen - quoll dort, wo einst die lieblichen Radieselein blühten...
Was ging hier vor?
Nur noch vom Gedanken besessen, reinen Tisch - Tabula rasa - zu machen, nahm er die Hacke und schlug wutentbrannt in die dumpfe Masse des zu Fäkalien mutierten Gemüses. Es spritzte, wirbelte Dreckklumpen in die Höhe, vermischt mit dem unkeuschen Saft der Gefallenen.
Bald aber reichte ihm das Gartenwerkzeug nicht mehr aus, so daß er sich des Allzweckgerätes "Rasenmäher" bediente, der dankbar die Beete von ihrem verderbten Aussatz erlöste.
In dieser Rage griff er zum letzten Mittel - Ultima ratio -, um seine Welt ein für alle Mal von Unerwünschtem fernzuhalten: ein Faß, das er während seines letzten Urlaubs aus der Nordsee gefischt hatte. Egal, was es beinhaltete, er wußte, daß es alles töten würde.
Und in der Tat, es verfehlte seine Wirkung nicht. Zwar hatte Schmidts noch bemerkt, daß er lediglich am falschen Ende seines Gemüsegartens gestanden und deshalb die Planung durcheinander gebracht hatte, doch war dieser Fakt bedeutungslos geworden. So starb er wenigstens mit Einsicht.
Der kleine Landkreis, in dem er gelebt hatte, mußte evakuiert werden; die obere Erdschicht wurde abgetragen, lagert jetzt in irgend einem alten Salzstollen, und die gesamte Fläche einbetoniert.
Greenpeace stellte Jahre später dort ein Kreuz auf; irgendwie romantisch, nicht?

(Januar 87/ Juli 93)


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